Nach der Schule arbeitete ich bei einer älteren Dame im Haushalt. Ich habe gebügelt, gestaubsaugt und abgewaschen. Jede Woche brachte ich ihr sieben Tafeln Alpenmilch Schokolade mit. Lange Zeit war es für mich ein Job, doch immer öfter tranken wir zusammen Tee und ich lauschte ihren Geschichten.
Dann reiste ich ein Jahr durch Australien und kurz vor meiner Rückkehr starb sie. Sie war friedlich in ihrem Sessel eingeschlafen, ein schöner Tod ohne Leid und Schmerz. Ich war damals völlig überrumpelt, fast etwas wütend, dass ich mich nicht richtig von ihr verabschieden konnte.
Die Angehörigen luden mich zur Beerdigung ein und als ich meine rote Rose ins Grab warf, konnte ich mich doch noch verabschieden, aber eben anders.
Birgit ist Altenpflegerin und es gehört zu ihrem Beruf solche Geschichten zu erleben. Wie es für sie ist, ständig lieb gewonnene Menschen zu verlieren, erzählt sie in diesem Beitrag.
Autorin: Sarah Stano | Passionierte: Birgit
Seit 23 Jahren arbeite ich in der ambulanten Pflege. In dieser Zeit ist mein Beruf für mich zur Berufung geworden. Was man dafür braucht? Viel Empathie für die einzelnen Schicksale und Lebensfreude, die man teilen kann.
Jeden Arbeitstag besuche ich meine Patienten, meist über Jahre und fast immer bis zum Tod.
Es ist oft nicht einfach ein professionelles Arbeitsverhältnis aufrecht zu halten. Patienten werden zu Freunden, auch zu guten Freunden, die mich sonntags zum Kaffee einladen.
Die Kunst ist es die Menschen so zu nehmen wie sie sind und jedem ein bisschen zu geben, was er braucht. Ein Lächeln, eine Hand auf der Schulter, ein offenes Ohr. Viele Menschen sind allein und manche sind glücklich, wenn man die angebotene Tasse Kaffee annimmt. Fünf Minuten und ein paar Worte sind immer drin. Dadurch entstehen kleine Rituale gegen die Einsamkeit. Denn meines Erachtens nach ist die schlimmste Krankheit im Alter genau das – die Einsamkeit.
Sarah: Wie kommst du damit zurecht, wenn ein Patient stirbt?
Anfänglich gar nicht. Bei jedem Verstorbenem hatte ich das Gefühl immer ein bisschen mit zu sterben.
Sarah: Und heute?
Sterben und Tod ist nach wie vor ein Thema in unserer Gesellschaft über das man lieber nicht spricht. Für mich ist es heute ein Stück Normalität. Nicht, dass man sich daran gewöhnt oder nicht trauert, jeder Tod bedeutet immer den Verlust eines Menschen. Aber einem Menschen professionell, würde- und liebevoll dorthin zu begleiten, ist eine so herausfordernde und schöne Aufgabe, dass man selbst jedes Mal ein Stück daran wächst. Die palliative Versorgung eines Menschen ist etwas ganz Besonderes (für mich) und jedes Mal wie ein Geschenk.
Natürlich gelingt das nicht immer.
Sarah: Wie meinst du das?
Naja, wenn der Tod plötzlich kommt oder die Patienten im Krankenhaus versterben. Besonders schlimm finde ich, wenn Angehörige uns nicht einmal über den Tod des Patienten informieren. Auch das kam schon vor.
Da machst und tust du jahrelang und bist am Ende noch nicht mal ein Telefonat wert. Zum Glück ist dies nicht die Regel.
Der Beruf des Altenpflegers ist ohne Frage ein sehr kräftezehrender Beruf, physisch wie auch psychisch.
Schafft man hier es ein Gleichgewicht herzustellen, mit dem was die Patienten einem an Dankbarkeit, Liebe und Freude zurückgeben, dann ist Altenpflege ein wunderbarer Beruf.
Sarah: Durch den Pflegenotstand verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und Pflegeheimen drastisch. Man hat immer weniger Zeit für einen Patienten, schnell, schnell zum nächsten. Das Pflegepersonal wirkt abgehetzt und unfreundlich.
In der ambulanten Pflege findet Birgit zum Glück immer fünf Minuten Zeit für das Zwischenmenschliche. Ihre Geschichte zeigt, dass Pflegekräfte keine Roboter sind, die einen Patienten nach dem anderen abhandeln. Sondern sie trauern ebenso um verstorbene Patienten wie Freunde.
Ein klares Statement, was der Pflegenotstand wirklich zerstört.